Die Wichtigkeit der Meditation für die Yogapraxis

Yoga erfährt seit vielen Jahren einen ungebrochenen Boom. Alle finden es gut, viele wollen es ausprobieren. Die Gründe sind vielfältig. Man will sich bewegen, will ruhiger werden, der Arzt sagt, es hilft bei Rückenschmerzen und außerdem hat die Freundin damit angefangen und ist tatsächlich etwas schlanker geworden.

 

Welche Motive auf tieferen Ebenen existieren, wissen wir nicht. Viele Menschen suchen bewusst oder unbewusst nach einer Orientierung und einer Ausrichtung, etwas, das ganzheitlich das Leben berührt.

 

Wenn wir Yogapraxis mit diesem Verständnis betreiben, kann tatsächlich das ganze Leben davon umschlossen werden.

 

Die Praxis sollte so ausgerichtet sein, dass sie außer der körperlichen Ebene auch die anderen Körper aktiviert und bearbeitet, auch die höchsten Ebenen. Dazu ist Meditation unerlässlich.

 

„All Life is Yoga.“ (Sri Aurobindo)

Yoga heißt Einheit und Einheit umfasst alles.

 

Alles Leben ist Yoga. Wenn man hier Yoga mit spiritueller Entwicklung gleichsetzen möchte, dann kann man auch sagen, dass alles Leben permanente Entwicklung ist. Egal ob jemand sich spirituell ausrichtet oder weltlich, ob er ein Menschenfreund ist oder ein Gewalttäter, er folgt dem Plan der Seele, seiner persönlichen Interpretation dieses Plans. Jedes Tier, jede Pflanze, jeder Mensch, alle bewegen sich auf dem Weg der permanenten Entwicklung, nur eben unvorstellbar langsam.

 

Viele, viele Lebenszeiten sind notwendig, um bestimmte Qualitäten zu entwickeln und Schwächen abzulegen. Dabei muss Entwicklung auf allen Ebenen stattfinden, körperlich, energetisch, emotional, mental und auf Ebene der Seele (hier ist nicht die Psyche gemeint).

 

Was ist das Ziel unseres Lebens? Warum sind wir da?

 

Im Yoga geht man davon aus, dass das Ziel des Lebens das Erreichen der Einheit mit Gott ist oder das Einswerden mit der eigenen höheren Seele als Tor zu Gott. Günstigenfalls sollten wir versuchen, diese Entwicklung zu beschleunigen, so dass sie nicht mehr viele,

viele Lebenszeiten dauert, sondern vielleicht nur noch einige wenige. Die Buddhisten glauben, dass es möglich ist, in nur einer Lebenszeit Erleuchtung oder Selbstverwirklichung zu erlangen. Dafür braucht es aber ein wirklich hohes Maß an Anstrengung und Konzentration und wahrscheinlich auch entsprechende Vorarbeit in vorhergegangenen Lebenszeiten. Es ist notwendig, die eigene Energie immer feiner und klarer werden zu lassen. Erst dann ist überhaupt der Kontakt zu den höheren Ebenen, die genau diese Qualitäten aufweisen, möglich.

 

Durch einen langsam fortschreitenden Prozess der Reinigung und Verfeinerung wird die Kundalini Energie schrittweise erweckt. Durch regelmäßige Praxis und durch immer wiederkehrende Meditation wird dieser Prozess intensiviert und beschleunigt.

 

Die Kundalini Energie existiert in jedem Lebewesen. Sie ist aber nur zu einem kleinen Teil aktiv. Sie ist ihrer Natur nach weiblich und liegt, einer zusammengerollten Schlange gleich, nahe dem unteren Ende der Wirbelsäule überwiegend im Schlaf. Wenn die spirituelle Energie, die ihrer Natur nach männlich ist, in der Meditation herunterkommt, vereinigt sie sich mit der Kundalini Energie. Beide zusammen steigen auf und erleuchten alle Körper, Chakras, den ganzen Menschen.

 

Qualitativ ist das so, quantitativ gibt es aber große Unterschiede. Die Frage ist, wie durchlässig ist das eigene System, wie leicht und frei kann sich die Energie bewegen? Gibt es in den Chakras alte energetische Informationen, die den höheren Schwingungen im Weg stehen? Dann nämlich wird dem Aufsteigen dieser mächtigen Energie ein massiver Widerstand entgegengesetzt. Das kann im Extremfall zu erheblichen Problemen führen.

 

Jeder ernsthaft Übende hat sicher schon bemerkt, dass manchmal nach der Meditation, wo man doch erwarten würde ruhig und ausgeglichen zu sein, heftiger Ärger aufsteigt. Der Grund ist, dass durch die Meditation tiefliegende energetische Verschmutzungen in den Chakras, den Energiezentren des Körpers, aktiviert wurden. Dies ist ein Hinweis darauf, dass im Bereich Charakterbildung und Reinigung noch Arbeit zu tun ist. Spiritualität bedeutet im Wesentlichen Reinigung und Verfeinerung, Spiritualität ist im Wesentlichen viel Arbeit. Das hat nichts mit anämischem dahinschleichen zu tun, die Lippen in einem eingefrorenen Dauerlächeln erstarrt.

 

Der spirituelle Weg ist nichts für Feiglinge. Wer wirklich auf diesem Weg voranschreitet, kommt unweigerlich an Klippen und stößt auf Hindernisse. Er muss sich konfrontieren und vieles bearbeiten. All das braucht Zeit. Leider gibt es nicht so viele Menschen, die das wirklich wollen. Man will es eher nett haben. „Ich mache Yoga“, das klingt beweglich und aktiv, bringt anerkennende Blicke und neugieriges Interesse. Aber ein paar Körperübungen allein sind noch kein Yoga. Yoga heißt Einheit und der Weg der Einheit bringt den ernsthaften Wanderer in Kontakt mit so mancher weniger angenehmen Seite, die er möglicherweise lieber nicht sehen möchte.

 

Bei Patanjali, dem unumstrittenen Großmeister des Yoga, dienen Asanas nur der Vorbereitung der Meditation. Yogapraxis ist das, was im Geist geschieht und wie dieser gelenkt und entwickelt wird. Auch wenn die Gewichtung in unserer Praxis etwas anders ist, kommt den höheren Ebenen doch eine größere Wichtigkeit zu als wir es gemeinhin annehmen. Die höheren Ebenen kontrollieren und beeinflussen die tieferen. Die höheren Ebenen sind die spirituellen Körper, die Seelenschicht, der Kausalkörper, der höhere Mentalkörper.

„Thou dost root out the ego of those who meditate on Thee in the heart, Oh Arunachala!“     (Bhagavan Sri Ramana Maharshi)

Für die meisten Menschen heute ist es schwer, in Meditation zu kommen. Sie verfügen nicht über das notwendige Maß an Konzentration. Es gibt zu viele Ablenkungen und es gibt Blockaden im Körper und auf energetischen Ebenen Ärger, Wut, Egoismus usw., die ein höheres Schwingen verunmöglichen. Dadurch ist der Kontakt zu den feineren, höheren Ebenen stark eingeschränkt oder eben nicht möglich. Wenn ich voller Stress bin und voller Ärger, kann ich Freude und Liebe nicht wahrnehmen. Die Menschen sagen dann, dass Meditation Quatsch ist, dass nichts passiert dabei, dass es Einbildung ist oder eben nicht „ihr Ding“. In Wirklichkeit aber ist es so, wie wenn der Schein einer Taschenlampe dichten Schlamm zu durchdringen sucht. Die Ursache liegt zumeist bei jedem selbst.

 

Heute wird oft suggeriert, dass alles, was gewünscht wird, leicht und mühelos zugänglich ist, dass alle Dinge schnell und ohne Anstrengung zu erreichen sind. Ich weiß wo ich es im Internet finde, ich kenne es, kann es benennen und dadurch habe ich es bereits. Ich brauche nichts weiter zu tun. "Alles ist Meditation" wird dann gesagt, also braucht man sich auch nicht besonders zu bemühen. Es mag sein, dass alles Meditation ist, aber nur, wenn der Zustand des Geistes entsprechend ist und ich wirklich Zugang zu den höheren Ebenen bekommen kann. Denn sonst ist eben nichts wirklich Meditation, nicht mal der Versuch zu meditieren. Um Meditation intensiv erfahren zu können, sind Übung, Beharrlichkeit und Reinigung notwendig.

 

Eigentlich ist Meditation nichts was man tun kann. Meditation geschieht, wenn die notwendigen Bedingungen geschaffen sind.

Wenn ich bete, spreche ich mit Gott, wenn ich meditiere, spricht Gott mit mir.

 

Durch Meditation fließt ein hohes Maß an sehr feiner Energie in mein System. Viele Prozesse werden dadurch angeregt und ich kann wirklich mein menschliches Potential entwickeln. Meditation lässt mich am Ziel sein bevor ich den Weg gemacht habe.

 

Spiritualität bedeutet Verfeinerung und Reinigung.

 

Im Raja Yoga, dem königlichen Yoga von Patanjali, ist das an Hand der „acht Arme des Yoga“ als Entwicklungsweg aufgezeigt.

Die acht Arme sind: Yama, Niyama, Asana, Pranayama, Pratyahara, Dharana, Dhyana, Samadhi.

 

Yama, die Dinge, die wir unterlassen sollten. Schwächen und Fehler, die wir erkennen und mit der Zeit abstellen sollten.

 

Niyama, die Tugenden, die zu entwickeln sind. Das bedeutet, sich mehr und mehr von den Gewichten und Stricken zu lösen, die dich zurückhalten und fesseln und Eigenschaften zu entwickeln, die hilfreich sind.

 

Durch Asanas machen wir den Körper beweglicher und kräftiger. Wir dehnen nicht nur Gewebe und Muskeln, sondern auch die Meridiane, die Energiebahnen. Der Körper wird durchlässiger und freier. Die Chakras nehmen mehr Energie auf und reinigen sich umfassend. Das wirkt auf der physischen wie auch der energetischen Ebene.

 

Durch Pranayama (Aktivierung und Kontrolle von Lebensenergie mittels des Atems) beeinflussen wir noch direkter die energetische Ebene. Mit der Zeit gibt es durch diese Techniken eine Reinigung und eine Erhöhung des Energieniveaus.

 

Pratyahara, Rückzug der Sinne. Unsere Sinne haben naturgemäß die Tendenz nach außen zu gehen. Wir identifizieren uns mit unseren Sinnen und mit dem, was sie wahrnehmen. Wir identifizieren uns mit der äußeren Welt, wir identifizieren uns mit unserem Körper als der einzigen Realität und glauben, wir seien ausschließlich unser physischer Körper. Durch den Rückzug der Sinne bringen wir die Aufmerk-samkeit nach innen, in die innere Welt, die feinere Welt des Geistes oder, mit der Zeit, die noch feinere Welt der Seele.

 

Dharana, verlängerte Konzentration, hilft uns dabei tiefer zu gehen, ohne abgelenkt und gestört zu werden, länger dem Prozess folgen zu können.

 

Dhyana, Meditation. Wenn wir die Sinne zurückziehen, nach innen bringen und die Konzentration verlängert aufrechterhalten können, wird Meditation möglich. Der Geist geht in Resonanz mit den höheren Ebenen der Seele. Ich kann diese Ebenen zumindest zeitweise erfahren, kann eine konkrete Erfahrung machen von den Ebenen, von denen immer nur gesprochen wird. Ohne diese konkrete Erfahrung bleibt alle Theorie grau. „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.“ Eine konkrete Erfahrung vermittelt mehr als viele Bücher.

 

Samadhi, Erleuchtung, Einheit, die Erfahrung von dem, was ist.

„Dazzling sun that swallows up all the universe in Thy rays, open the lotus of my heart, I pray, Oh Arunachala!“     (Sri Ramana Maharshi)

Lieber Leser, liebe Leserin, keine Angst. Wenn du vielleicht am Anfang der Reise in deine inneren Welten stehst, mag dir das alles sehr schwer und streng vorkommen, zu umfangreich, als dass du das könntest oder wolltest. Aber nicht alles entscheidet sich in einem Augenblick. Auch der Wunsch, tiefer in einen Weg einzutauchen, entsteht zumeist erst mit der Zeit. Niemand wird zu Grundsatzentscheidungen gezwungen. „Wenn du einen Schritt auf Gott zu tust, kommt er dir tausend Schritte entgegen.“ sagt man. Das kann sich ausdrücken in Form von günstigen Umständen und hilfreichen Menschen und von Entwicklungen, die dich fast von selbst auf deinem Weg voran schreiten lassen. Auch Rom ist nicht an einem Tag erbaut worden.

 

Wenn du auf dem Weg des Yoga gehen willst und es für dich mehr ist als nur reine Gymnastik, dann wäre es sinnvoll, sich um Meditation zu bemühen.

 

Yogapraxis ohne Meditation ist wie Gehen mit verbundenen Augen. Ich bewege mich, aber ich weiß nicht wohin. Yogapraxis ohne Meditation ist wie Sahnetorte ohne Sahne oder wie Reisen ohne anzukommen. Yogapraxis ohne Meditation führt sicher auch zum Ziel, nur eben unvorstellbar langsam.

 

(Winfried Pfliegel)